Sonam lernt Schritt für Schritt das Laufen

Von Matthias Nicko (Sächsische Zeitung)


Damit Sonam (vorn, M.) wieder laufen kann, sind die Sebnitzer Goethe-Schüler gerannt. Insgesamt absolvierten sie 2400 Kilometer. Die Fotos von dem Sponsorenlauf, der der Strecke von Sebnitz nach Lissabon entspricht und 5000 Euro für Sonams OP erbracht hat, haben sie auf einer Wandzeitung festgehalten. «Die Schüler sind Teil unseres Projektes geworden», sagt Physiotherapeutin Petra Boden (3. v. l.). Zusammen mit Sonams Mutter Dolma (3. v. r.) und Alexandra Niedersteiner (r.) arbeitet Petra Boden Hand in Hand für Sonams zweites Leben. Foto: Dirk Zschiedrich

Sie lächelt, schaut offen und freundlich: die 17-jährige Sonam aus Indien. Mit dem Rollstuhl ist sie am letzten Tag vor den Ferien in die Turnhalle des Sebnitzer Goethe-Gymnasium gekommen. In ihrer Heimat muss sie sich von Mutter oder Schwester tragen lassen. Denn die Straßen dort sind nicht nur so steil wie in Sebnitz, sondern darüber hinaus uneben.

Das zierliche Mädchen aus der Region Ladakh kann nicht laufen. Seit einer missglückten Rückenoperation in Delhi ist der linke Fuß des Teenagers deformiert.


OP in Dresden kostet 8000 Euro

Aber nun sitzt Sonam an jenem Juli-Freitag vor den Pennälern und strahlt. Sie dankt dafür, dass die Schüler des Goethe-Gymnasiums für sie 5000 Euro erlaufen haben – beim Sponsorenlauf der Unesco-Schule Ende Juni.

Als das Mädchen seine auf Englisch gehaltene Rede beendet hat, klatschen die Gymnasiasten lang und länger. Sonams Schicksal lässt niemanden kalt. Die Inderin übergibt der Schulleitung weiße buddhistische Schals. Zeichen größten Respekts. Der Dalai Lama lebt in Sonams Heimat im Exil.

Während des Sponsorenlaufs Ende Juni waren die Goethe-Schüler in Summe 2400 Kilometer gelaufen. Allein Malte Palm passierte den Zielstrich der 400-Meter-Bahn 30-mal. Sponsoren spendeten für jeden Kilometer Geld. So kamen 5000 Euro zusammen.

Vor allem deshalb kann das Mädchen am kommenden Dienstag in der Dresdner Uniklinik operiert werden. Die OP kostet knapp 8000 Euro. Kurios: Ein Arzt des Hauses hatte während des Studiums in Ladakh gearbeitet.

«Die Operation ist die Voraussetzung, damit wir physiotherapeutisch arbeiten können», sagt Therapeutin Petra Boden aus Sebnitz. Bei ihr und Ehemann Lutz wohnt Sonam seit Anfang Juni und noch bis Ende August.

Sonams Gastmutti war von Oktober bis Dezember 2010 als freiwillige Helferin in Ladakh und begegnete dem Teenager als ihre Patientin. Außerdem lernte Petra Boden dort Sonams Mutter Dolma und Physiotherapeutin Alexandra Niedersteiner aus München kennen. Bis Ende August arbeiten die vier Frauen in Sebnitz Hand in Hand. Und vielleicht bald Schritt für Schritt.

Nur mit intensiver Betreuung und modernen Hilfsmitteln wird es Sonam möglich sein, zumindest teilweise wieder das Laufen zu erlernen. Von ihrer Persönlichkeit her hat sie laut Petra Boden beste Voraussetzungen dazu. Die 38-Jährige und Alexandra Niedersteiner üben mit Sonam den Sommer über an Geräten und auf der Matte.

Medizinische und therapeutische Hilfe wird der Inderin in der Region gleich von mehreren Seiten zuteil, und dies fast durchweg unentgeltlich. Freunde der Bodens reisen aus anderen Städten an, um ihre Unterstützung anzubieten.

Die Hohwald-Klinik um Leiter Stefan Härtel und Oberarzt Albrecht Siegmund hat den OP-Termin in Dresden überhaupt erst ermöglicht. Die Hohwälder wollen Sonam auch bei der Nachbehandlung unters Bein greifen.

Der Sebnitzer Enrico Seemann führt die Ergotherapie durch, Dr. Martina Müller-Balogh begleitet Sonam als Hausärztin.

Das Krankenhaus Sebnitz stellt kostenlos sein Bewegungsbad zur Verfügung. Hier empfängt Uta Scheermesser dreimal pro Woche nach der Arbeitszeit ihre außergewöhnliche Patientin. Die Therapie im Wasser ist erforderlich, um Sonams Bein zu kräftigen.


Aufrechter Stand ist verbessert

Zu guter Letzt hilft ein Sanitätshaus aus Pulsnitz: Es wird der Sebnitzerin auf Zeit nach der Operation eine Beinschiene anpassen. Die Orthese gibt Sonam ein beträchtliches Maß an Selbstständigkeit zurück.

Der exotische Gast macht bereits vor der OP Fortschritte. Alexandra Niedersteiner, die Sonam auch in Englisch, Biologie und Geographie unterrichtet, erklärt: «Sonam kann jetzt ihre Beine und steifen Gelenke bewegen. Auch der aufrechte Stand ist verbessert.»

Das Mädchen kann inzwischen bis zu zwei Minuten stehen, braucht dafür aber die Hilfe von zwei Personen. Sonams Mutter Dolma schaut sich bei Frau Boden und Frau Niedersteiner einige Kniffe ab. Zurück in der Heimat, wird sie die Therapeutin ihrer Tochter sein.

Sonam muss das Laufen zum zweiten Mal in ihrem Leben erlernen. Für dieses Ziel arbeitet sie hart. Sie kennt inzwischen die Blumenwiesen bei Ostrau und die Elbschiffe in Bad Schandau. Demnächst geht es im Rolli zur Dresdner Frauenkirche. Nach der OP am kommenden Dienstag wird ans Stehen erstmal nicht zu denken sein. Geduld! Gut Ding will Weile haben.